Was ich unbedingt noch erzählen wollte Beim neuen Chef des Rowohlt-Verlags ist immer noch 1913
Die letzten Tage des Patriarchats sind zwar laut Margarete Stokowski et al. endlich angebrochen, aber ausgerechnet Florian Illies hat die Memo nicht bekommen. Das deutet schon der Untertitel seines Werkes – der zweite Teil des wirklich lesenswerten 1913. Der Sommer des Jahrhunderts – an: „Was ICH unbedingt noch erzählen wollte.“
Illies reiht wieder Fetzen aus Tagebüchern, Briefen und dem Werk des Who is Who des fin de siècle und ebenjenes Vorkriegsjahres aneinander, und das läse sich auch erneut recht fetzig…wäre da nicht dieses Gschmäckle. Fangen wir an mit der Prämisse: den „Revolutionsführern“, die „alle mit Worten und Tönen und Bildern die Welt umkrempeln wollen.“ Es folgt eine lange Aufzählung der tollen Typen von Musil bis Trakl – allesamt männlich, ausnahmslos. (Die Frauen fanden also alles famos; kein Wahlrecht, auf Herd und Heim beschränkt…nix zum Umkrempeln hier.)
Wenn aber eine Frau stattfindet in dem, was Herr Illies un-be-dingt noch erzählen wollte, dann stets in ermüdenden Klischees à la: „jung, sehr blond, sehr hübsch“, „hinreißend junge und schöne“; oder aber „fürsorglich“ – damit der Mann, das Genie, sich nicht erkältet. Dummerweise sind alle Damen, die die 30 überschritten haben, für Illies leider „weder besonders jung noch besonders schön“ o.ä.. Die Leselust schon deutlich gedimmt, gelange ich zur Stelle, die ohrenbetäubend laut für sich spricht: „Tilly Durieux ist (…) eine der sechs zentralen Frauenfiguren der Zeit um 1913, sie war eine der großen Femmes fatales.“ Und lege das Buch weg (aha, um zentral zu sein, muss frau fatal sein; und ganze sechs davon gab’s immerhin „in der Zeit um 1913“, wow, okay). Um es mit der grandiosen Autorin und Punk-Pionierin Viv Albertine zu sagen:
I see male dominance everywhere. Some nights I can’t bear one more male face on the TV. I don’t want them in the corner of my living room. Or one more of their books. One more clever painting, one more lazy song.
Problematisch ist diese Haltung eines Bestsellerautors von heute (sowohl der von Illies zitierte Heinrich Mann als auch, etwa, ein Friedrich Nietzsche hatten da deutlich fortschrittlichere Ansichten hinsichtlich der geistigen Ebenbürtigkeit der Damenwelt) vor allem dann, wenn er als Verleger und Mit, sorry, -Glied der Nannen-Jury über großen Einfluss verfügt. Damit ist der Autor, let’s face it, Multiplikator für die momentan zu beobachtende bedenkliche Tendenz regressiver Entwicklungen. Denn wenn Frauen flachge…ups, sorry, verlegt oder ausgezeichnet werden – generell sind es noch immer deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen, siehe den Shitstorm um das Herbstprogramm des Hanser Verlags – dann doch gefälligst – ja, genau – junge (und am besten, na klar, auch hübsche; Frau Stokowski etwa ist ausgerechnet im Rowohlt-Verlag zuhause).
Nicht lustig ist auch die Tatsache, dass der Verdienst der Autorinnen auch noch drastisch sinkt, je älter sie zu sein sich erdreisten. Hier also einfach mal meine 5 Cents‘ worth aus der weder ausdrücklich jungen, noch besonders schönen; dafür aber ziemlich wütenden (wütende Frauen gehen gar nicht! Obwohl Wut empowert…nein. WEIL Wut empowert) Ecke – auch wenn es damit wohl endgültig weder mit Nannen-Preis noch Rowohlt-Buch was werden wird, schnüffz: Herr Illies und andere ewig Gestrige, Sie haben auserzählt. Was jetzt spannend wäre? Das Leben der hundert anderen interessanten Frauen – um 1913 oder heute. Wie es zum Beispiel jene Viv Albertine in ihren Memoiren To Throw Away Unopened erzählt:
For sixty years I’ve been shaped by men’s point of view on every aspect of my life, from history, politics, music and art to my mind and my body – and centuries more male-centric history before that. I’m saturated with their opinions. I can think and see like a straight white man. I can look at a woman and objectify her, see her how a man sees her.
Never mind being fuckable. Lasst uns lieber eins werden, Ladies:
UNFUCKABLE WITH.