How one gig changed my life (write in style pt. 3) Über Yoga & Rock und wie man Liebesbriefe ans Leben schreibt
Dieser Fangirl-Brief entstand vor genau fünf Jahren. Auf den ersten Blick hat er nicht viel zu tun mit der Reihe HOW TO WRITE IN STYLE, in der sich das Wortgewidder gerade befindet; auf den zweiten Blick ALLES. Und ausnahmsweise ist dieser Beitrag zunächst auf Deutsch – ist er doch die richtige Antwort auf die Frage, die mir neulich eine liebe Geschäfts-Freundin stellte:
Du, ich weiß gar nicht mehr, wofür du eigentlich stehst?
Ich weiß, ich mache Musik, ich schreibe und ich unterrichte Yoga. Scheinbar sind das alles grundverschiedene Dinge. Trotzdem verbindet sie ein großer, gemeinsamer Effekt – und so ist die Antwort auf Katharinas Frage ganz einfach:
Ich stehe für Freiheit. Freiheit von negativen, fremdbestimmten Denkmustern und Freiheit zur Liebe, zu Gefühlen, zum Verletzbar-Sein. Das Leben spüren, sich lebendig fühlen. Im Moment sein, so oft es geht. Raus aus dem Kopf, rein in den Körper. Um hinterher umso klarer denken zu können.
Ich weiß, das klingt schrecklich pathetisch für Einige. Aber später erkläre ich, wie ich das meine: Der Besuch eines einzigen Konzerts zum Beispiel kann ganze Leben verändern. Kann revolutionieren. Klingt nach Pathos? Ist es auch: nämlich (griechisch für) „Leidenschaft“. Und wir brauchen dringend mehr davon:
Und gleichzeitig das Wissen, dass ich mehr bin als mein Denken und meine Emotionen. Und mit all dem in Hinterkopf und jeder einzelnen Zelle umso besser zu schreiben, Musik zu machen und Yogastunden zu geben – mit Worten oder Klängen, die dann wieder bewegen. Motivieren zum intuitiv richtigen (Nichts)Tun. Mich und Andere.
Das alles hat mich nicht nur die BDY-Ausbildung gelehrt, die ich dank dieses Konzerts vor fünf Jahren endlich begann (und die letzten Herbst erfolgreich abgeschlossen wurde, nach viereinhalb Jahren, die sich im Nachhinein anfühlen wie Monate). Sie hat vielmehr Wissen wiederbelebt, das sich früher schon beim Punkrock-Machen in der Pfälzer Provinz zeigte oder auf der Matte beim Iyengar im London der Jahrtausendwende und im Lesen von Rilke oder Nietzsche an diversen Unis bestätigte.
Ein Wissen, das die Erziehung zur angepassten Kapitulation vor der „normalen“ Arbeitswelt (mit Heulen auf dem Klo, Mobbing durch patriarchale Chefs und Burnout wegen NULL Life-Work-Balance oder Zeit fürs Kind) zeitweise verdrängt und verbuddelt hat. Ein Wissen, das mir Henry David Thoreaus WALDEN samt Aufruf zum Carpe Diem und der Film Dead Poets Society aber eigentlich sehr früh in Fleisch und Blut übergehen ließen: das Wissen, ein Freigeist zu sein, der sich mit anderen Freigeistern umgeben und austauschen muss. Um die Welt ein kleines bisschen zu retten. (Gerne auch mit einer Prise Pathos!)
Und heute, rasante fünf Jahre später? Heule ich natürlich immer noch – aber nicht mehr heimlich auf dem Klo. Und auch nicht mehr oft und lange. Ganz sicher nicht mehr wegen einer Arbeit, die mich unglücklich macht.
Manchmal heule ich sogar vor Freude und Dankbarkeit – zum Beispiel darüber, als Mutti Mitte 40 immer noch bzw. endlich wieder selbst mit meiner Band Jetsun auf der Bühne zu stehen und zu sehen, dass ich Andere bewegen kann. Vielleicht sogar so, wie Jay mich vor fünf Jahren bewegt hat: dazu, mein Leben komplett zu verändern.
Also: Beweg dich – es ist dein Leben! Fang mit der Frage an: Wofür stehe ich? Oder brauchst du noch einen Schubs? Dann viel Spaß beim Lesen.
“Du sollst nicht gerecht sein gegen ihn; denn wohin kämen die Besten von uns mit der Gerechtigkeit; nein; aber denke an ihn, wie er in der Stunde war, da du ihn am tiefsten liebest…”
– Jens Peter Jacobsen.
Das Wort “Liebe” ist noch immer angstbesetzt für Viele. Besonders, wer im intellektuellen oder wissenschaftlichen Diskurs ernstgenommen werden will, wird es vermeiden. Dabei schafft Liebe Wissen, emotionale Kognition. Und die Liebe zur Musik, oder durch die Musik, sowieso.
Cog Rock statt Cock Rock.
Allein mit dem großen Wort Liebe jedenfalls wird man dem Phänomen gerecht, das Rival Sons heißt. Vor allem Sänger und Songschmied Jay Buchanan inspiriert große Gefühle und, darüber hinaus, Taten; seine Lieder und seine Präsenz wirken so performativ, wie nur große Kunst und große Künstler es können. Der Besuch eines einzigen Konzerts dieser Band kann ganze Leben verändern. Kann revolutionieren. Klingt nach Pathos? Ist es auch: nämlich (griechisch für) „Leidenschaft“. Und wir brauchen dringend mehr davon.
Dabei fing alles ganz harmlos an. Auf Facebook über „Face of Light“ gestolpert, verliebte ich mich zwar sofort in das Lied. Text, Gesang, Arrangement: reine, songgewordene Schönheit. Dazu ein Video, wie es einfacher und besser nicht sein könnte: die Bandmitglieder, dick angezogen in Zeitlupe in einer englisch anmutenden Landschaft herumstolpernd. Zeigt Menschen! Zeigt Natur! Es funktioniert. Nicht einmal ein Schlagzeug und Amps inmitten grün-grauer Weiden und vor pittoresken Steinmäuerchen stören da – das Video lief bei mir in voller Lautstärke und in Dauerschleife. Monatelang.
Zwei der drei bislang erhältlichen und natürlich umgehend erworbenen Alben dagegen warfen nicht direkt um. Pressure and Time machen ja bekanntermaßen Kohle zu Diamanten, und das so betitelte zweite Werk ist dem aktuellen Head Down, LP Nummer drei, auch vorzuziehen. Nicht zuletzt wegen ebenjenem „Face of Light“, dessen Wirkung man mit seiner eigenen Textzeile am besten nahekommt:
It’s a brilliant Roman candle, separating day from night, it’s a clean, clear truth, separates the wrong from the right.
It does: this song cuts through the crap. Hier zeigt sich Buchanans Fähigkeit, Gefühle zum Anlass zu nehmen, um sie dann zu etwas Allgemeingültigem zu transzendieren: Dass das Lied seinem kleinen Sohn gewidmet sein soll, macht absolut Sinn und jeder, der jemanden liebt, und vor allem sein eigenes kleines Kind, wird verstehen. Im Radio etwa deklassiert ein solcher Diamant von Song tatsächlich zuvor und danach gespielte zu matter, belangloser Küchenkohle.
Aber von Buchanans textlichen Fähigkeiten abgesehen: Gute Musik kommuniziert, bevor sie verstanden wird, und die Summe einer guten Band ist mehr als ihre Bestandteile. Das merkt man daran, dass ihre Alben Grower sind, sie werden mit der Zeit scheinbar immer besser. Vollkommen deutlich wird dies dann, wenn man diese Band live – und hier kann, nein, muss man diesen inflationär missbrauchten Ausdruck anwenden – erlebt. Wie gesagt von den Alben nicht eben überwältigt, hatte ich dennoch sofort Karten für das Auftaktkonzert der Europatour bestellt. Am 22.03. machten wir uns auf den Weg nach Bonn. Und wurden weggepustet in der Harmonie!
Auf der Bühne entfaltet dieses Quartett eine unglaubliche Energie. Hier spürt man die unmittelbare Kraft der Songs, die allesamt in kürzester Zeit entstanden: Sowohl für Head Down als auch für Pressure and Time ging die Band ohne jegliches Material ins Studio, alles – Arrangement, Texte, Aufnahme – entstand vor Ort binnen 21 Tagen, meist im 1. oder 2. Take eingetütet. Dazu kommt wirkliches handwerkliches Können; allein der dicke Soundteppich des Gitarristen Scott Holiday ist kaum beschreibbar. Drummer Mike Miley treibt alles mit Witz und Charme nach vorne, Basser Robin Everhart ist das ruhige Rückgrat des Ganzen. Sie schauen sich kaum an, die Kommunikation untereinander klappt blind. So lange hab ich so etwas nicht live erleben dürfen. Gesprungen, geweint, offen-mündiges Staunen…alles war dabei. Bei jedem im Raum!
Eine Band, wie sie vielleicht alle 20 Jahre mal daherkommt.
Die Dich so berührt, dass Du tief traurig wirst, weil Du am liebsten alles hinschmeißen möchtest, um ein anderes, wahre(re)s Leben zu führen…revolutionär eben. Nicht nur in den Worten des über-charismatischen Buchanan, der Dich auffordert, „don’t give them your soul!“, oder anklagt: „Sit on your fence and keep screaming about injustice!“ Wie ein Dichter spricht er Wahrheiten aus, auch unbequeme, die etwas anstoßen. Er trauert, lamentiert, begehrt auf – und fragt mit großer Intensität im offenen, präsenten Blick jeden Zuhörer persönlich:
Und Du? Bist Du wirklich am Leben? Warum machst Du die Welt nicht ein klein wenig besser?
Ja, Worte. Buchanan ist kein Fan: “Words can make a daft person seem really smart, and a smart person seem really daft” – findet er (beaconmoment.com). Dagegen betont er „the superiority of the human singing voice in cutting through the crap“ – hinter einer Singstimme kann man sich, anders als hinter reinen Worten, nicht verstecken. Schon Nietzsche seufzte ja: „Sie hätte singen sollen!“, seine Geburt der Tragödie und erste Monographie. Anfangs, sagt er (Buchanan, nicht Nietzsche), war er zu scheu zum Singen, es fühlte sich für ihn an wie Weinen auf der Bühne.
Als Sängerin kann ich das nachvollziehen. Wie schade, dass ich Dir, Jay, nicht vorsingen kann; hier und jetzt müssen reine Worte genügen. Zum Beispiel die, dass bei mir Eure Performativität so gewirkt hat, dass ich noch am selben Abend beschloss, endlich die Ashtanga-Yogalehrerausbildung zu beginnen, die ich mir schon so lange erträumt, aber nie zugestanden hatte. Zudem Yoga ja ähnlich dionysisch-apollinische Effekte bewirkt wie ein gutes Rockkonzert: Man kann sich ganz in der Gegenwart verlieren, die Gedanken-Disko systematisch lernen, auszuschalten. (Gerade eben wurde mir diese Yoga-und-Rock-Analogie-Theorie auf einer Yoga-Philosophie-Weiterbildung beim grandiosen Eberhard Bärr wieder einmal bestätigt.)
Nach dem Konzert lungerten wir noch am Merch-Stand mit der ebenfalls guten, aber mindestens einer Liga weiter unten spielenden Vorband, Hong Faux aus Schweden, herum, als sich plötzlich die kompletten rivalisierenden Söhne unters gemeine Volk mischten und den Kontakt – wie vorher schon in ihrer Musik – mit den Menschen ganz intensiv suchten. Ich muss eine jener Leute gewesen sein, die durch Worte sehr dumm wirken an dem Abend, denn ich brachte, weichen Knies, nur Gestottertes zustande. Als Mr. Buchanan, Apollo (Gott der Form) und Dioysos (Gott des Rausches) in einer Person, sagte: „Hi, I’m Jay, what’s your name?“, sprach, recht un-God-like, die Stimme Andy Pipkins (Little Britain) aus mir: „Yeah, I know. You’re a poet.“
Jay, verzeih’ – aber auch Dichter können, wie gesagt, die Wahrheit aufdecken. Worte können nicht nur manipulieren und verschleiern. Und Du bist sicher einer derer, die schreiben müssen – Worte UND Lieder – um leben zu können. Das war jedenfalls der Ratschlag Rilkes in seinen Briefen an einen jungen Dichter, als jener ihn fragte, ob er gut genug sei: „Fragen Sie sich, Kappus: MUSS ich schreiben?“ Wenn nicht – ist man keiner und sollte es lieber bleiben lassen.
Rilke war auch der Meinung, dass geliebt werden schwieriger sei als zu lieben: „Schlecht leben die Geliebten und in Gefahr. Ach, dass sie sich überstiegen und Liebende würden!“ Diese Meinung teilt Jay Buchanan, der Teilzeitbuddhist und Dichter wider Willen. Nur, um dann zu betonen, wie wichtig es ist, dass man lernt, sich lieben zu lassen. Die „worthless rounds in the ring“ sein zu lassen. Nicht immer nur zu kämpfen, gegen sich selbst und andere. Man fragt sich bloß, wie ein solch offensichtlich nachdenklicher und sensibler Mensch, der bei jeder Show so viel von sich gibt, eine Tour wie die jetzt zu Ende gehende vier Wochen am Stück durchhält, Nacht für Nacht.
Jay, gib acht auf Dich! „Don’t give us your soul“, würde ich sagen – wenn es nicht genau das ist, was ihn und die Band so großartig macht.
Die Rival Sons sind jedenfalls Hippies. In a good way. Nicht nur wegen der angenehm gender-bending Blumen im Haar und Kajal am Auge ihres androgynen Sängers, der auf der Bühne als allererstes an Janis Joplin und ihre aus Fragilität geborene Power denken lässt. Sie entfachen ein Feuer, das brennt für Liebe und Gerechtigkeit, und tun damit dem Rock and Roll endlich wieder Gerechtigkeit an. Sie werden ihm gerecht. Sie sind DIE Live-Band, die man jetzt sehen muss und, so abgedroschen dies auch klingen mag, die binnen eines Jahres jedes sprichwörtliche Kind kennen wird, wenn es mit rechten und gerechten Dingen zugeht. Sie sind die Wachablösung-mit-Inhalt für U2, die Chris Martins warm duschende Weichbrötchen von Coldplay nie sein werden – Söhne, die für ihre Väter von Led Zeppelin etc. wirkliche Rivalen sind, ebenbürtig. Sie sind, laut eigener Aussage, auch kein Soul, Blues Rock oder sonst ein Rock-samt-Musikjournalistenattribut. Nein, sie sind einfach Rock: JUST ROCK. Und Jay Buchanan wird sich wohl daran gewöhnen müssen, Liebe zu inspirieren.